Ein interessantes Thema, das durchaus weiter diskutiert werden sollte.
Ich habe mir das Beyer Dynamic-Tool auch mal angehört, und ja: es klingt einfach schauderhaft. Eigentlich unbegreiflich bei einer so bekannten Firma, die ja gute Kopfhörer produziert und daran interessiert sein müsste, dass man mit dem Tool arbeiten können sollte. Die Monitore, die da simuliert werden, würde ich mir nicht einmal schenken lassen.
Ich bin zwar der Meinung, dass man, wenn es eben geht, mit Monitoren mischen sollte, aber suche auch schon länger nach einem Tool, mit dem ich Grobmixes machen kann, wenn meine Frau nebenan lesen oder fernsehen will. Das entscheidende Problem bei Kopfhörern ist ja die strikte Trennung zwischen den Kanälen, was dazu führt, dass man ein ganz anderes Raumempfinden hat, dass Phasenprobleme zwischen rechts und links nicht erkannt werden und das Gehör schneller ermüdet.
Will man die Wahrnehmung von Boxen im Kopfhörer simulieren, so muss man sehr viele Parameter berücksichtigen. Neben den Charakteristiken der zu simulierenden Studio-Abhöre (Position und Frequenzgang der Monitore, Hallzeit, Raumreflexionen und Höhendämpfung des Raums) sind natürlich vor allem die Eigenschaften des Hörers zu berücksichtigen: er hört ja mit jedem Ohr beide Boxen. Mit einem Crossfeed allein (also dem Einspeisen eines kleinen Teils des rechten Kanals in die linke Hörmuschel und umgekehrt) ist es aber nicht getan. Man muss auch die unterschiedlichen Laufzeiten berücksichtigen, also ein Delay in das Crossfeed-Signal einfügen. Doch auch das reicht noch nicht. Der Frequenzgang wird durch die Kopfform und Größe des Kopfes sowie durch die Ohrmuscheln verändert. Tiefere Frequenzen von der rechten Box werden zum Beispiel um den Kopf herum gebeugt und links fast unverändert laut wahrgenommen. Mittlere und hohe Frequenzen hingegen mehr oder weniger stark gedämpft. Die Ohrmuscheln haben die Tendenz, wie ein Horn bestimmte Frequenzen zu bündeln und dadurch zu verstärken. Das alles findet bei normaler Kopfhörer-Wahrnehmung so nicht statt. Diese Veränderungen des Hörens über Boxen lassen sich messen (Kunstkopf oder In-Ear-Mikros) und mathematisch beschreiben in der so genannten Transferfunktion (Head Related Transfer Function - HRTF). Das Problem ist: sie ist bei jedem Individuum anders, und deshalb können solche Simpel-Lösungen wie die von Beyer Dynamic nicht funktionieren.
Es gibt ja schon Kopfhörerverstärker, die sich dieses Problems annehmen (zum Beispiel von SPL), die aber sehr teuer sind. Deshalb war ich schon länger auf der Suche nach einem Plug-In, das das leistet. Da gibt es zum Beispiel von 112 dB das Plugin Redline Monitor für 99 Dollar. Ich habe die Demo-Version eine Weile ausprobiert, war aber nicht wirklich zufrieden damit. Ich habe von anderen (teils teuren) Lösungen gelesen, bei denen man verschiedene HRTFs (gemessen an realen Menschen) als Impulsantworten herunterladen kann, die dann im Plugin verwendet werden, oder sogar Hardware-Lösungen, mit denen man seine eigene Transfer-Funktion messen kann. Das war mir entweder zu aufwändig oder zu teuer.
Gestern bin ich auf ein kostenloses Plugin gestoßen, das wirklich brauchbar erscheint. Ich habe bisher noch nicht damit gemixt, aber Mixes mit Kopfhörer und Boxen damit verglichen. Es heißt Isone Pro und ist Teil eines großen VST-Freeware-Plugin-Pakets von Jeroen Breebaart:
http://www.jeroenbreebaart.com/audio_vst_jb.htm
(Mac User müssen leider draußen bleiben).
Die anderen Plugins habe ich noch nicht getestet.
Hier meine Erfahrungen mit Isone Pro:
Es ist ein älteres 32 Bit Plugin nach dem 2.3 Standart und sollte in eine 64Bit Umgebung am besten mit einer Bridge eingebunden werden. Ich misstraue der Cubase eigenen VST-Bridge und benutze dafür JBridge.
Zunächst zur simulierten Studio-Umgebung:
Der Winkel der Lautsprecher ist (im Gegensatz zum Redline-Plugin) nicht einstellbar, sondern beträgt 60°, wie es dem Ideal entspricht und auch meiner persönlichen Monitoraufstellung. Den Abstand kann man zwischen 1 und 4 m einstellen. Die Hallzeit des Raums ist zwischen 0,2 und 0,6 s praxisgerecht wählbar. Man kann unter 11 verschiedenen Lautsprechertypen und Flat Response (linealglatter Frequenzgang) wählen. Die Frequenzgänge der simulierten Boxen sind im Manual abgebildet. Dort gibt es auch Hinweise, welche realen Boxen so oder so ähnlich klingen.
Zur Transferfunktion (HRTF):
Die Stärke des Einflusses der Transferfunktion insgesamt kann mit dem “Cue-Regler” zwischen 0 und 100% geregelt werden. Die Laufzeitunterschiede der Schallwellen zu den Ohren können ein- und ausgeschaltet werden. Sowohl die Kopfgröße als auch die Ohrgröße ist durch eigene Regler virtuell veränderbar. Somit beruht die Simulation nicht auf festen (gemessenen) HRTFs, sondern man bastelt sich eine Transferfunktion, die sich der eigenen weitgehend nähern soll. Diese Kalibrierung ist genau beschrieben. Es geht darum, die richtige Richtungswahrnehmung zu erreichen, also ein Monosignal genau von vorn (und nicht über dem Kopf) und linkes und rechtes Signal aus der Richtung 30° von der Mittelachse kommend. Ich habe als Signalquelle Rosa Rauschen benutzt. Leider ist es gar nicht so einfach, denn das Gehirn lässt sich kaum überlisten. Ich habe keine Einstellung gefunden, mit der ich die Signalquelle wirklich vor dem Kopf wahrnehme. Sie ist bei mir immer im Kopf platziert. Als ich danach abwechselnd zwischen Monitoren und Kopfhörer wechselte, war das Ergebnis dennoch überraschend: Der Unterschied fiel viel geringer aus, als ohne Plugin, das heißt, die Richtungswahrnehmung löst sich doch ein wenig vom Kopf und verschiebt sich in Richtung virtueller Boxen. Vielleicht ist die losgelöste Wahrnehmung mit etwas Training zu erreichen.
Weitere Einstellungsmöglichkeiten:
Das Plugin hat einen internen Bypass-Schalter, sowie verschiedene Ausgangsschaltungen: L/R, R/L (also Stereo vertauscht), L+R (Mono), L-R (Seitensignal) sowie L oder R solo. Das habe ich mir schon immer im Monitor-Mixer gewünscht, mal auf die Schnelle die Kanäle tauschen oder einzeln anhören zu können. Sehr gut! Im Raumsimulationsbereich gibt es noch einen Knopf “Next door”, mit dem man sich anhören kann, wie der Mix im Nachbarzimmer klingt. Ein Gimmick, das man wohl nicht oft braucht.
Es gibt eine Menge voreingestellter Presets für verschiedene Abhörsituationen (z.B. HiFi-Anlage, Laptop oder diverse Studio-Umgebungen). Diese kann man neben der eigenen Transferfunktion zu Vergleichszwecken nutzen, sollte damit aber besser nicht abmischen.
Natürlich hat das Tool auch ein Level-Meter und einen Lautstärke-Regler.
Wichtig: Wenn man das Plugin in den Stereo-Masterkanal einschleift (Cubase Artist), muss man es natürlich beim Downmix oder Export unbedingt ausschalten! Besser ist es, im Control-Room-Mixer (nur Cubase) einen Kopfhörerkanal zu definieren und es dort einzuschleifen.
Fazit: Ich habe es zwar bisher nicht geschafft, meine Transferfunktion so zu kalibrieren, das das akustische Geschehen wirklich vor mir stattfindet, aber vielleicht habe ich mit Rosa Rauschen auch das falsche Signal dafür benutzt. Ich werde beim nächsten Versuch andere Signalquellen ausprobieren. Dennoch finde ich das Tool sehr gut: der Mix klingt dem auf meinen Boxen wirklich viel ähnlicher als ohne Plugin, das Hörerlebnis ist viel natürlicher, die Kanaltrennung nicht so hart, die Ermüdung geringer. Ich habe schon einige Plugins dieser Art ausprobiert. Dieses ist mit Abstand das beste, hat die meisten Einstellmöglichkeiten und ist inzwischen sogar kostenlos. Ich werde immer noch bevorzugt mit den Boxen abmischen, aber es sicher oft benutzen, wenn das nicht möglich ist (zum Beispiel unterwegs oder zu nachtschlafender Zeit). Dafür kann ich es nur wärmstens empfehlen, zumal man ja auch noch eine riesige Menge weiterer Plugins als Zugabe bekommt. Wenn die alle von der gleichen Qualität sind, wäre das eine Sensation! Herzlichen Dank Jeroen Breebaart.